Die Steppenmöwe ist ursprünglich ein Brutvogel der osteuropäischen und vorderasiatischen Steppenlandschaften. Die wichtigsten Brutgebiete liegen in Kasachstan, Südrussland und der Ukraine. Doch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hat sich die Art bis ins nördliche Mitteleuropa ausgebreitet und Brutkolonien vor allem in Weißrussland, Polen und auch im Osten Deutschlands etabliert. Zuletzt wurden weite Teile der Tschechischen Republik besiedelt. Im südlicher gelegenen Österreich war die Steppenmöwe bis 2021 noch kein Brutvogel, die Art tauchte vor allem in den Wintermonaten in größeren Trupps an nahrungsreichen Stellen wie etwa Kompostdeponien auf, zog aber spätestens im März wieder in die Brutgebiete ab.
Lanius hat eine Kooperation mit dem Betonwerk Lasselsberger in Wörth bei Pöchlarn eingegangen, wobei es darum geht, die dortigen Baggerteiche und ihre Umgebung ökologisch zu optimieren. Die Ergebnisse sollen dokumentiert, sprich fotografiert werden. Um größere Greife wie den Seeadler fotografieren zu können, wurden vor den Fotoverstecken Köder ausgelegt. Während es heuer nicht gelang, einen Seeadler anzulocken, kamen speziell im Spätwinter immer mehr Großmöwen vorbei, um sich hier zu bedienen. Die Trupps bestanden überwiegend aus Steppenmöwen. Ansässige Konkurrenz fanden sie vor allem in dem hier seit 3 Jahren brütenden Mittelmeermöwenpaar vor. Beide Vögel sind beringt und stammen von der bayrischen Donau.
Ansässiges Mittelmeermöwenpaar in Wörth. Beide Vögel stammen von der bayrischen Donau und sind beringt. Links das farbberingte Weibchen, 4.4.2022
Gegen Winterende zeigten einzelne verpaarte Steppenmöwen Balzverhalten, doch waren diese Vögel nach wenigen Tagen weitergezogen.
Balzendes Steppenmöwenpaar in Wörth, 27.2.2022
Interessant war hingegen ein Mischpaar, bestehend aus einem Steppenmöwen-Männchen im 4. Kalenderjahr und einem adulten Mittelmeermöwen-Weibchen. Dieses Paar verblieb einige Monate und zeigte immer wieder intensives Balzverhalten. Letztlich brütete aber auch dieses Paar nicht, während das Mittelmeermöwenpaar wie gewohnt auf einem der beiden Brutflöße im April eine Brut begann.
Mischpaar K4 Steppenmöwe Männchen (links) mit adulter Mittelmeermöwe Weibchen balzend, 14.4.2022
Nun wurde es aber spannend. Das Männchen, Jahrgang 2017, war offensichtlich nicht ausgelastet und begann eine Liaison mit einer adulten Steppenmöwendame. Wie meine Bilder im Nachhinein zeigten, war dieser Vogel bereits seit mindestens 9. Februar im Gebiet anwesend und an seiner für Steppenmöwe ausgesprochen hellen Iris mit darin enthaltenen einzelnen großen, dunklen Sprenkeln gut erkennbar. Aus dem Fotohide konnte ich feststellen, dass die beiden Vögel immer wieder verpaart an der Futterstelle erschienen, während das Männchen andererseits seine ursprüngliche Partnerin auch am Nest ablöste, damit diese ebenfalls ans Futter fliegen konnte.
Das später brütende Steppenmöwen-Weibchen gemeinsam mit dem beringten Mittelmeermöwen-Männchen am Futter, 25.4.2022.
Schließlich hatte ich Glück und konnte am 24. April von der Straße aus beobachten, wie die beiden Vögel zusammen auf einer Insel in dem benachbarten großen Schotterteich Nistmaterial aufsammelten und zu einem mutmaßlichen Nistplatz transportierten! Das Mittelmeermöwen-Männchen setzte sich auch wiederholt kurzfristig ins Nest, um dem Weibchen zu zeigen, was zu tun wäre. Nach einigen Tagen war es soweit: Das Weibchen saß nun fix im Nest und hatte offenbar zu brüten begonnen!
Steppenmöwen-Weibchen „on nest“. Wörth, 7.5.2022
Allerdings machte eben dieses Dreiecksverhältnis gewisse Sorgen. Das Weibchen am Floß wurde weiterhin abgelöst, nie sah man die beiden Mittelmeermöwen gemeinsam am Futter. Hingegen erschienen das Männchen und die Steppenmöwe immer wieder zur selben Zeit an der Futterstelle. Es zeigte sich, dass sich das Männchen um die 2. Brut nicht kümmerte.
Mittelmeermöwen-Männchen mit dem Ring Radolfzell JS01660 in 2 Partnerschaften mit je einer Mittelmeer- und einer Steppenmöwe in der Brutsaison 2022. Wörth, 9.5.2022
Somit musste das Weibchen das Nest zur Nahrungsaufnahme immer wieder längere Zeit verlassen. Nach etwa 2 Wochen trat am 16. Mai das worst case-Szenario ein. Schon am Morgen sah ich das Weibchen lustlos unterhalb des Nistplatzes am Teichufer stehen, wo es den ganzen Tag verblieb – die Brut war leider gescheitert. Seither waren das Weibchen und ein zusätzliches dunkeläugiges adultes Steppenmöwen-Weibchen aber weiterhin durchgehend im Gebiet anwesend.
Das erfolglose Steppenmöwen-Weibchen ist weiterhin in Wörth anwesend, 5.6.2022.
Die Zusammensetzung des Möwentrupps hat sich inzwischen nachhaltig verändert. Es dominieren jetzt Mittelmeermöwen, die von der Adria zugezogen sein dürften. Eine dieser Möwen trug einen Metallring der slowenischen Vogelwarte mit der Ringnummer Ljubljana VM0048. Es stellte sich heraus, dass sie im Vorjahr im Stadtzentrum von Maribor als Nestling beringt worden war. Es sind jedoch auch weiterhin mehrere Steppenmöwen anwesend, darunter 2 vorjährige beringte aus Tschechien. Insgesamt konnten von Dezember bis ins Frühjahr 23 verschiedene Steppenmöwenringe aus Tschechien, Polen, Deutschland und der Slowakei abgelesen werden.
Die K4-Steppenmöwe mit dem gelben Farbring XKEA ist eine von 23 abgelesenen Steppenmöwen-Ringträgerinnen in Wörth. Beringt 2019 in Ostdeutschland, kann sie je eine Ablesung aus Frankreich und Holland vorweisen. In Wörth hielt sie sich nur etwa 5 Minuten auf; 28.3.2022.
Parallel zu dem Ansiedlungsversuch in Wörth hatte es beim Kraftwerk Ottensheim-Wilhering in Oberösterreich die Etablierung einer kleinen Großmöwenkolonie gegeben, wobei auch ein reines Steppenmöwenpaar brütete, dieses allerdings am Ende auch ohne Bruterfolg (Quelle: ornitho.at). Damit haben 2022 jedenfalls die ersten Steppenmöwenbruten in Österreich stattgefunden, wenn auch ohne Erfolg bei uns in Wörth.
Weitere hoffentlich erfolgreiche Brutversuche der Steppenmöwe sind in den nächsten Jahren aber durchaus zu erwarten.
Wolfgang Schweighofer, Juni 2022