Die Esparsetten-Sägehornbiene Melitta dimidiata hat ein riesiges Verbreitungsgebiet, das sich schwerpunktmäßig von Südeuropa ostwärts durch ganz Asien bis zur Pazifikküste erstreckt. In Mitteleuropa zählt sie aber zu den besonderen Raritäten. In Deutschland konnte sie an ihren wenigen bayrischen Fundorten nach 1990 nicht mehr nachgewiesen werden. In der Schweiz besiedelt sie aktuell noch das Rhonetal im Wallis und in Österreich kommt sie fast nur in hochrangigen Schutzgebieten im pannonischen Osten vor. In Niederösterreich etwa liegen laut Literatur Nachweise vom Bisamberg, vom Eichkogel bei Mödling und von den Fischawiesen vor.
Die 6 österreichischen Sägehornbienen-Arten sind mittelgroße Bienen, deren Männchen relativ lange Fühler mit sägeartig erweiterten Fühlergliedern besitzen. Weibchen zeigen mehr oder weniger breite, helle Haarbinden am mehr oder weniger dunklen Hinterleib und transportieren mit Nektar vermischte Pollenladungen, was sie von ähnlichen Gattungen unterscheidet. Alle heimischen Arten sind oligolektisch, das heißt, sie sammeln Pollen nur von wenigen bestimmten Pflanzenarten einer Pflanzenfamilie oder gar nur einer Gattung. So sammelt die Esparsetten-Sägehornbiene nur an Esparsetten-Pflanzen. Neben der Gewöhnlichen Esparsette (Onobrychis viciifolia) kommt vor allem die gefährdete Sand-Esparsette (Onobrychis arenaria) dafür in Frage. Gerade in Niederösterreich wurde diese Bienenart bisher nur an Stellen mit Vorkommen der Sand-Esparsette gefunden.
Allerdings kommt diese insgesamt seltene Esparsetten-Art in unserer Region von Natur aus eigentlich gar nicht vor. Beim Betriebsgelände Gradwohl in Melk wurde jedoch das gesamte Firmenareal mit überwiegend pannonischem Samenmaterial auf sandigem Untergrund angesät. An einer Stelle eines Beckendammes befinden sich auch kleinflächige, aber dichte Bestände der Sand-Esparsette. Am 17. Juni beschloss ich, die gerade frisch erblühten Esparsettenbestände auf Wildbienen zu kontrollieren. Es dauerte nicht lange, da fielen mir neben den zahlreichen großen Honigbienen schon verdächtige kleinere Wildbienen-Männchen mit weißer Gesichtsbehaarung auf, die mit rasender Geschwindigkeit die Esparsettenbestände flächenscharf abpatrouillierten. Das war schon einmal sehr verdächtig, das kannte ich in ähnlicher Form doch bereits von den Zahntrost-Sägehornbienen (Melitta tricincta), die ebenfalls bei Gradwohl vorkommen, aber erst ab August! Da ich kein Insektennetz mithatte, musste ein Foto her, was sich aber als fast unmöglich erwies. Kühlende Wolken kamen mir zum Glück zu Hilfe, da brauchten die flinken Männchen mehr Energie und mussten sich auf den Esparsettenblüten niederlassen, um Nektar zu schlürfen. So gelangen einmal erste Belegbilder. Später konnte ich ein Männchen mit der Hand fangen und nach Kühlung zu Hause ordentlich fotografieren. Erst bei weiteren Besuchen ein paar Tage später konnte ich nach stundenlangem Beobachten endlich einzelne Weibchen beim Pollensammeln entdecken und fotografieren.
Da diese Sägehornbienen streng an die Sand-Esparsette gebunden waren, war eigentlich klar, dass es sich um die extrem seltene Esparsetten-Sägehornbiene handeln musste. Dennoch war erst mit den gemachten Bildern eine exakte Bestimmung auf Artniveau möglich. Wie unterscheidet sich nun Melitta dimidiata von ihren Verwandten? Schon die frühe Flugzeit und das engräumige Patrouillieren im Bereich der Pollenpflanzen gibt einen klaren Hinweis. Männchen fallen durch ihr weißes Gesicht bereits im Flug auf. Weiters sind sie im Vergleich zu den anderen Arten recht langhaarig, wobei die Färbung bei frischen Tieren auf Mesosoma und den ersten 3 Hinterleibstergiten ein auffallendes Gelbbraun ist, während die hinteren Tergite überwiegend schwarz behaart sind. Die Tiere bleichen allerdings schnell aus und werden nach wenigen Tagen hellgrau, das Schwarz am Hinterleibsende bleibt aber erhalten. Weiters haben die Männchen der Esparsetten-Sägehornbiene als einzige heimische Melitta-Art Fühler mit kaum erweiterten Fühlergliedern, der Sägehorneffekt entfällt hier also.
Die Weibchen kann man an Hand ihrer gelbbraunen Gesamtfärbung mit einer dunkeln Mittelzone auf der Oberseite des Brustabschnitts und relativ schmalen hellen Tergitbinden auf den Tergiten 2-4 erkennen. Tergit 1 ist komplett gelbbraun behaart und ohne Endbinde. Eine Verwechslung mit anderen Melitta-Arten, insbesondere mit der weit verbreiteten Luzerne-Sägehornbiene (Melitta leporina), die auch öfters in einem Esparsettenbestand auftauchen kann, ist somit im Prinzip ausgeschlossen. Diese hätte eine insgesamt hellere orangebraune Gesamtfärbung mit breiten Hinterleibsbinden, die Männchen hätten Sägehornfühler, kein weißes Gesicht und keinen farbmäßig zweigeteilten Hinterleib mit auffälligen hellen Tergitendbinden.
Nach bisherigem Befund ist die Population in Melk sehr klein, wobei aber das heuer in der Region sehr schlechte Wildbienenjahr zu berücksichtigen ist. Es verwundert, dass die Bienen den entlegenen kleinflächigen Bestand der Sand-Esparsette überhaupt gefunden haben. Ich selbst konnte diese Biene nur dank gezielter Suche nachweisen. Besonders Weibchen sind nur sehr spärlich aufzufinden. Diese muss man zwischen zahlreichen Honigbienen, aber auch anderen esparsettenbesuchenden Wildbienen wie der Luzerne-Sägehornbiene, diversen Sandbienen, Goldenen Langhornbienen, Blattschneiderbienen und anderen erst herausfiltern. Sogar die bei uns äußerst seltene und nur im Gradwohl-Gelände nachgewiesene Große Filzfurchenbiene konnte an den Esparsettenblüten gefunden werden.
Diese wirklich generell äußerst rare Bienenart ist eine echte Sensation, reiht sich aber beim Firmengelände Gradwohl in eine ganze Reihe außergewöhnlicher Bienenfunde ein. Bisher konnten dort neben anderen interessanten Arten teils äußerst seltene Arten oder Arten, die sonst nur im Pannonikum vorkommen, gefunden werden, wie etwa die Goldene Langhornbiene (Eucera pollinosa), die Malven-Langhornbiene (Eucera macroglossa), die Stängel-Blattschneiderbiene (Megachile genalis), die Zahntrost-Sägehornbiene (Melitta tricincta), die Große Filzfurchenbiene (Halictus pollinosus) oder die Schmallappige Schienenbiene (Pseudapis diversipes).
Diese Tatsache beweist jedenfalls, dass man den Bienen und überhaupt der gesamten Biodiversität mit geeigneten Maßnahmen ganz gut auf die Sprünge helfen kann. Der Erfolg bei der Firma Gradwohl, was Förderung der Biodiversität betrifft, sei hiermit zur Nachahmung empfohlen!
Wolfgang Schweighofer, 25.06.2023